Gold
  Die deutliche Ablehnung der EU-Verfassung durch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in gleich zwei Gründerstaaten hat der bezüglich Integrationsprozesse vom Erfolg verwöhnten Europäischen Union einen herben Dämpfer versetzt. Das „Non“ in Frankreich vom 19. Mai 2005 (55%) und das „Nee“ in den Niederlanden vom 1. Juni (63%) sind Ausdruck eines schwindenden Vertrauens sowie divergierender Interessen und wirtschaftlichen Realitäten in der EU. Parallel dazu zeichnen sich politische Machtverschiebungen auf nationaler Ebene ab; beispielsweise mit der vorzeitigen Bundeskanzler-Wahl in Deutschland. Die EU-Wirren zeugen von komplexen Politprozessen in einem grossen Gebilde. Viele Menschen in Europa sorgen sich um die schwache Wirtschaftsentwicklung und die prekäre Arbeitsmarktsituation. Gedämpft wird die Stimmung ferner durch die dauernden Diskussionen um die Finanzierungsprobleme der privaten und staatlichen Alters- und Gesundheitsvorsorge.
   
 

Foto(1979): Valéry Giscard d’Estaing, Architekt der EU-Verfassung und Ex-Präsident Frankreichs

   
  Völlig unbeeindruckt von den Abstimmungsresultaten haben sich die europäischen Aktienbörsen in den ersten beiden Wochen danach sehr positiv entwickelt. Unter deutlichen Verkaufsdruck geriet hingegen der Euro. Er verlor gegenüber dem US-Dollar in dieser Zeit stetig an Terrain. Erst nach einer Abschwächung um bis zu 6% festigte sich der Euro wieder etwas gegenüber der US-Valuta. Mit einer negativen Reaktion auf der Währungsseite musste gerechnet werden, weil die Handlungsfähigkeit der EU von verschiedener Seite in Frage gestellt wurde. Sogar Rufe nach einer Wiedereinführung der Italienischen Lira als Parallelwährung wurden laut. Der innenpolitische Gegenwind, der einigen Staats- und Regierungschefs entgegen blässt, hat ohne Zweifel die angespannte Situation in der EU noch verschärft. Die eigenen Positionen werden heute viel offener und direkter vorgetragen. Mit der Aussage von Gerhard Schröder, wonach sich die EU am Scheideweg zwischen einer echten politischen Union und der Rückkehr zu einer Freihandelszone befinde, hat Schröder völlig unnötig mit einer Gretchenfrage der „EU-Denkpause“ - für eine Reflexion und gegenseitige Verständigung - vorgegriffen. Der Verhandlungsradius für Kompromisse ist vielerorts nur klein. Über politischen Spielraum verfügen am ehesten jene EU-Staaten, die mit erfreulichen Konjunkturdaten aufwarten können und Nettoempfänger von EU-Geldern sind. Diese sind jetzt gefordert, kreative Vorschläge für eine Beilegung der Krise zu initiieren. Eine wichtige Rolle kommt diesbezüglich dem britischen Premierminister Tony Blair zu, der die EU-Ratspräsidentschaft für das zweite Halbjahr 2005 übernehmen wird und wegen des „Briten-Rabatts“ ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist.

Absicherungsinstrument und "Ersatzwährung"
Aufgrund der angespannten Stimmung in Europa notierte das Gold fest und schloss in den letzten Tagen über der Marke von USD 440 je Unze. Gold ist ein interessantes Absicherungsinstrument und „Ersatzwährung“ mit attraktiven Diversifikationseigenschaften. Dies hat das gelbe Edelmetall in den letzten Jahrzehnten mehrmals bewiesen (Weltwirtschaftskrise 1929, Zusammenbruch des Bretton Woods Systems 1973, zweiter Erdölschock von 1979/80). Zudem hat der World Gold Council ausgerechnet, dass seit 1990 1200 Mio. Unzen Gold gefördert wurden – im Gegensatz dazu jedoch nur neue Reserven im Umfang von 400 Mio Unzen erschlossen werden konnten. Als grösster Goldnachfrager tritt traditionellerweise die Schmuckindustrie auf. Der Goldpreis-Anstieg in diesem Zyklus fällt mit dem Ausbruch der letzten Börsenbaisse zusammen. Die Probleme in Europa haben beträchtliche Kapitalbewegungen ausgelöst. Grosse Währungsveränderungen haben den Nachteil, dass sie die Relation der Gläubiger/Schuldner-Struktur beeinflussen und - ähnlich wie hohe Deflations- oder Inflationsraten – auf den Güter- und Kapitalmärkten zu ungewollten Verzerrungen und Schocks führen können. Stand noch vor kurzem die von den USA geforderte Aufwertung des Renminbi im Fokus, ist es heute eine Tripolarität der Wirtschafts- und Währungsinteressen (USA, Europa, Asien), welche die Kapitalmarktteilnehmer beschäftigt. Das attraktive Übernahmeangebot der chinesischen GNOOC (China National Offshore Oil Corporation) an den amerikanischen Erdölkonzern Unocal zeugt von einem erstarkten Selbstvertrauen und einem gewaltigen Investitionshunger der Chinesen. Die Übernahmeofferte für einen grossen US-Konzern aus dem sensiblen Wirtschaftsbereich Energie erhitzt in den USA selbst die Gemüter der Verfechter einer freien Marktwirtschaft. Wenn wundert’s? Es geht immerhin um nationale strategische Interessen und ist der Startschuss im Rennen um geopolitische Macht. Eine Aufwertung des Renminbi würde den Akquisitions-Appetit der Chinesen sicher verstärken.

Steigende Nachfrage
Wir können uns durchaus vorstellen, dass, insbesondere im Nahen Osten sowie in Asien und Südamerika, Notenbanken und Grossinvestoren ihre Reserven bzw. Vermögenswerte besser diversifiziert sehen möchten und verstärkt als Nachfrager von Edelmetallen auftreten werden. Dies im Gegensatz zum Trend bei den westlichen Zentralbanken, die ihre Goldbestände sukzessive verringern. Auch die Nachfrage von privaten und institutionellen Anlegern nach Gold orientierten Fonds und strukturierten Produkten mit Bezug zu Gold dürfte in der zweiten Jahreshälfte stark zunehmen. Der Ölpreis hat aufgrund der praktisch ausgeschöpften Raffineriekapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette bereits die historische Rekordmarke von USD 60 je Fass übersprungen - bereinigt um die Inflationsentwicklung liegen die Rohölnotierungen jedoch noch weit von den Höchstständen entfernt. Mit einer substanziellen Substitution von Öl (schwarzes Gold) wird von verschiedenen Experten erst auf einem deutlich höheren Preisniveau gerechnet. Gleichzeitig hat sich die Überhitzungsgefahr an den Immobilienmärkten mit dem kontinuierlichen Zinsrückgang weiter verschärft. Die Kreditrisikoprämien an den internationalen Anleihenmärkten haben bereits – wenn auch von sehr tiefem Niveau aus – nach oben gedreht.

Fazit
Mögliche Wirtschafts- und Währungsturbulenzen lassen Gold in neuem Glanz erscheinen. Eine veränderte Perzeption des Goldes als eigenständige Anlagekategorie würde zu einem Preisausbruch nach oben führen.

 

Foto: Goldbarren

   
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